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VOLLER EINSATZ AUF ROT ERWIN SABATHI HAT ES MIT SEINEN SÜDSTEIRISCHEN WEISSWEINEN GANZ AN DIE SPITZE GESCHAFFT. DOCH SEIN EHRGEIZ GEHT NOCH WEITER: SO OBSESSIV WIE ERFOLGREICH BETREIBT ER SEIT JAHREN DAS PROJEKT EINES PINOT NOIR VOM PÖSSNITZBERG Von RAINER SCHÄFER Fotos JOHANNES GRAU Die Diagnose fällt eindeutig aus: Erwin Sabathi gehört zu jenen Weinmachern, die dem Pinot Noir verfallen sind. »Ich liebe Pinot«, gesteht der 1974 geborene Winzer aus der Südsteiermark, »ich bin davon besessen.« Die Rebsorte gilt als »heartbreak grape«, die ihren Verehrern das Herz brechen kann. Sabathi kennt Geschichten von Desperados, die ihre Familien im Stich gelassen, Haus und Hof verloren und sichere Jobs aufgegeben haben, um den größten Pinot Noir zu keltern. Manche schlafen bei ihren Fässern, als müssten sie über kranke Kinder wachen, manche verlieren fast den Verstand, weil sich tagein, tagaus alles nur noch um den roten Burgunder dreht. Für den Südtiroler Extremwinzer Franz Haas, der Anfang des Jahres gestorben ist, war diese Rebsorte die große Gegenspielerin, die er abgöttisch liebte und mit der er sich täglich messen musste. Allnächtlich erwachte er um drei Uhr und grübelte, was er noch besser machen könne. Josh Jensen, Gründer des kalifornischen Weinguts Calera, fuhr zwei Jahre durchs Land und übernachtete in seinem Auto, weil er unbedingt den perfekten Boden finden wollte. Alle dachten, er sei verrückt geworden. So war auch Erwin Sabathis größte Angst, sich in den Fallstricken des Pinot Noir zu verheddern: »Deshalb habe ich so spät damit angefangen. Er ist die größte Herausforderung meines Lebens.« Als Königin der Rebsorten stellt Pinot Noir höchste Ansprüche und zeigt einem die eiskalte Schulter, wenn man sich nicht intensiv um sie kümmert. Sie liebt es warm, aber wenn es allzu warm ist, schmeckt der Wein nach Erdbeerbowle. Sie ist frostempfindlich, mag keine kühlen, feuchten Böden. Wegen ihrer dünnen Haut sind die Beeren extrem anfällig und faulen schnell; wenn man das Tannin zu stark extrahiert, wird es bitter und stumpf. Wer diese Diva jedoch verhätschelt und mit Samthandschuhen anfasst, dem kann sie Weine schenken, die Franz Haas »erotisch« nannte. Weltweit tüfteln Winzer daran, die immer neuen Rätsel zu lösen, die ihnen diese Rebsorte aufgibt. Erwin Sabathi begegnete ihr schon mit 16 Jahren, als er die Gelegenheit hatte, 36 Grands und Premiers Crus aus Burgund zu verkosten, »seitdem verfolgt mich diese Rebe«. Aber erst 2015, ein Vierteljahrhundert später, begann er, selbst Pinot Noir zu pflanzen – am Pössnitzberg, in einem Terroir, das lange nur für Sauvignon Blanc bestimmt gewesen war. »Für den hat man weltweit selten so gute Bedingungen wie hier«, erklärt der Winzer, der 30 der beinahe 50 Hektar dieser Spitzenlage besitzt. Sein Großvater Johann hatte mit einem Hektar angefangen, Erwin Sabathi erweiterte die Fläche zielstrebig, nachdem er 1992 beim Weingut eingestiegen war. »Damals wollte ich 100 Prozent Sauvignon Blanc machen«, erzählt er, »aber dann kam Pinot dazwischen.« 2005 reiste er zum ersten Mal nach Burgund, nachdem ihm ein Bodenexperte geraten hatte, am Pössnitzberg STEIERMARK FINE 4 | 2022 55
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