Ein Gespräch mit Hans Oliver Spanier dreht sich selten nur um Wein, um Lagen, Böden, Weinstile. Es passiert schnell, dass man über ganz andere Inhalte spricht, über den Fleiß, der notwendig ist, um Erfolg zu haben, über »Borniertheit« – ein Wort, das er oft und gern verwendet –, die große Betriebe innerhalb einer Generation ihre Existenzberechtigung kostet, über Mangel an Leistungsbereitschaft, die man im Sport beobachtet und die in der Gesellschaft immer mehr verloren zu gehen scheint. Und doch landet man über diese kleinen Ausflüge immer wieder bei dem Thema, das seit mehr als 30 Jahren Spaniers Leben bestimmt. Kaum ein deutscher Winzer kann ähnlich druckreif über Wein sprechen, mit ausdrucksstarken Bildern und mächtigen Worten, wie der Mann aus dem rheinhessischen Hohen-Sülzen, der dabei in Momenten der Kritik immer haarscharf an der Grenze zur Provokation vorbeigeht. Nach einem herausfordernden Jahr, in dem das Wetter den Winzern alles abverlangte, wenn sie gesunde und aromatische Trauben ernten wollten, ist Hans Oliver Spanier optimistisch. Der Herbst spendet den Reben noch ein paar versöhnliche Sonnentage. »Wenn das Wetter nun noch ein wenig mitspielt«, meint Spanier, »wird das doch ein guter Jahrgang. Die Säurewerte sind top.« Smart in dunklen Hosen, weißem Hemd und enger Weste kommt er im Elektrocaddy angefahren und wird dem Ruf gerecht, der ihm und seiner Frau Carolin vom Weingut Kühling-Gillot vorauseilt: zwei Güter, die für große Weine stehen, und ein Winzer-Ehepaar, das bewusst Lifestyle verkörpert. Am Rand des malerischen Dorfes im südlichen Rheinhessen steht der dunkelgrau gestrichene große Keller an der Straße wie eine Trutzburg, die neugierige Blicke der Vorbeifahrenden abhält. »Das Areal haben wir 2004 gekauft«, erzählt Spanier, »da stand hier nur eine Scheune.« Der Gang durch den 40 FINE 4 | 2021 RHEINHESSEN
über die Jahre immer weiter vergrößerten Keller wirkt unspektakulär: schlicht und funktional, fast ein wenig steril, der Rotweinbereich noch gähnend leer. »Das bleibt auch überschaubar«, sagt Spanier, »grundsätzlich produzieren wir eben mehr Riesling. Spätburgunder gibt es nur als Ortswein aus Ersten Lagen und als GG, viel mehr soll das gar nicht werden.« Seine Vorstellung von dieser Rebsorte ist präzise und orientiert sich an der Spitze. »Spätburgunder braucht große Lagen, und da sind die Herkünfte bei uns eben rar«, sagt Spanier, für den Burgunder Tiefe haben und fleischig sein müssen. Schon als Kind war dem späteren Selfmademan klar, dass er mal in die Landwirtschaft wollte: »Ich habe das geliebt, mit dem Opa draußen zu sein, den Geruch des Traktors, des Bodens, das habe ich genossen.« Trotzdem sahen die Eltern nach der Hauptschule für den Sohn Betriebswirtschaft vor und schickten ihn zur Handelsschule. »Im ersten Zeugnis kam mein großes Erwachen«, erinnert er sich, »nur Vieren, Fünfen, Sechsen. Am nächsten Morgen bin ich zwar mit dem Mofa losgefahren, aber nicht mehr in der Schule angekommen.« Klare Ansage: »Ich brauche eine Lehrstelle als Winzer. Jetzt!« Stattdessen wurde er direkt bei der Landwirtschaftskammer in Alzey vorstellig mit den Worten: »Ich brauche eine Lehrstelle als Winzer. Jetzt!« Zwei Anrufe und einen Besuch im künftigen Lehrbetrieb später machte er sich mit einem unterschriebenen Ausbildungsvertrag auf den Heimweg, um den Eltern zu erklären, dass es mit der Betriebswirtschaft nichts werden würde. »Das war damals eine gewagte Entscheidung«, erkennt er im Rückblick, »Rheinhessen war 1985 im Tal der Depression, ohne Fantasie, ohne Vision.« Aber als Radfahrer hatte er gelernt zu beißen, dranzubleiben, Grenzen auszuloten. Den Gedanken an eine Karriere als Profisportler hatte er immerhin auch einmal. Vier Dinge waren für den Winzer Hans Oliver Spanier von Beginn an klar – dass er Riesling machen wollte, dass der bio sein musste, dass Herkunft wichtig war und dass die Weine trocken sein sollten: »Wenn man international von großen Rieslingen reden will, so wie von großen Burgundern, dann müssen die auch trocken sein, da gibt es keinen Kompromiss.« Unter drei Gramm Restzucker lässt er seine Weine gären. Die Großen Gewächse, alle spontan vergoren, lagern deshalb in den gebrauchten Stückfässern im Keller, »das ist eine ganz andere Spontanvergärung als im Edelstahl«. Gerade das Thema Herkunft schien damals weit weg: »Die Welt wollte davon nichts wissen und Deutschland schon mal gar nicht.« 1990 bot ihm ein Winzer den Weinberg in der Lage Frauenberg im Zellertal als Geschenk an. »Die Lage ist steil, mit Terrassen und Treppen, das war kompliziert, das wollte damals niemand haben.« Spanier zögerte dennoch nicht lang. Der Winzer nahm ihm das RHEINHESSEN FINE 4 | 2021 41
Laden...
Laden...
Facebook