Sieht so die Zukunft des Weinbaus aus? Zumindest drängt sich bei dem Château mit offenem Gärkeller und Rundum- Balkon das Schlagwort »futuristisch« auf Seine Jugend, erzählt Jonathan Maltus, war noch von der Politik der britischen Kolonialzeit bestimmt: Seine Eltern lernten sich in Indien kennen und siedelten dann nach Nigeria über, wo sie für eine englische Bank arbeiteten. Ihr Sohn wurde 1955 in der damaligen britischen Kolonie geboren, die erst 1960 ihre Unabhängigkeit erlangte. Als Kind wurde er auf ein Internat in England geschickt, seine Eltern hat er »nur zwei Mal im Jahr gesehen«. Nach dem Studium gründete Maltus ein bald florierendes Ingenieurbüro für Petrochemie. Er war ständig auf Achse, arbeitete in den Niederlanden, Monaco, Nigeria, England und Belgien. »Ich bin nicht sehr britisch«, sagt der viel gereiste Kosmopolit, der seine Gesellschaft 1992 verkaufte; da war er gerade einmal 36 Jahre alt. Kurz zuvor hatte er geheiratet und mietete zunächst für ein Jahr ein Haus in Cahors – »ich wusste noch nicht so recht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte«. »Ich wollte nicht leben wie ein englischer Gentleman« Auf einer Dinnerparty lernte er einen australischen Winzer kennen, »der ziemlich schüchtern war und auf seinem Wein sitzen blieb«. Die beiden schlossen sich zusammen: Maltus verkaufte den Wein, der Winzer wies ihn dafür 18 Monate lang in die Praxis der Weinbereitung ein. Danach stand für den eloquenten und schlagfertigen Geschäftsmann fest: »Ich wollte nicht leben wie ein englischer Gentleman, ich wollte selbst Wein machen.« Jonathan Maltus war hin- und hergerissen, ob er ein Weingut in Cahors übernehmen sollte, »aber Regionen wie Burgund und Bordeaux standen viel höher im Kurs«. Da er keine Schwäche für Pinot Noir habe, sei nur das Bordelais übrig geblieben. Das linke Ufer war zu teuer, in Außenbereiche wie die Côtes de Blaye wollte er nicht, »so kam ich nach Saint- Émilion ans rechte Ufer«. 1994 kaufte Jonathan Maltus das renovierungsbedürftige Château Teyssier in Vignonet im südlichen Teil der Appellation mit fünfeinhalb Hektar Reben. Er investierte in Weinberge und Keller, war sich jedoch bewusst, dass er auf den sandigen Böden der Ebene keine preisgekrönten Grands Crus erzeugen konnte: »Ich wollte anständige Weine machen, die man kaufen konnte, ohne dafür eine Bank sprengen zu müssen.« Aber der Start als Winzer verlief mühsam: »Alle Châteaux hatten 400 Jahre Tradition, alle kannten sich, nur ich war außen vor.« Seine Kinder gingen im Städtchen Saint-Émilion zur Schule, wo sich die anderen Eltern morgens mit Küsschen links und rechts begrüßten, »bloß ich bekam keine ab«. Als Maltus seinen Kellermeister fragte, woran das liege, antwortete der: »Du bist im falschen Teil von Saint-Émilion, darum gehörst du nicht dazu.« Nur wer auf dem Kalkplateau und an den Hängen unterhalb der Stadt begütert ist, zählt zur Kaste der Châteaux, die als Premier Grand Cru Classé und Grand Cru 26 FINE 4 | 2021 BORDEAUX
Classé eingestuft sind. Maltus begriff, dass er auch »Weinberge im richtigen Teil von Saint-Émilion« erwerben musste, um als Winzer anerkannt zu werden. So zögerte er nicht, als sich 1996 die Gelegenheit bot, dreieinhalb Hektar Reben von den Brüdern Gouteyron zu übernehmen, die Vieux Château Mazerat im Mazerat-Tal führten. Damit befand er sich endlich in bester Gesellschaft: Eine Seite der Parzelle grenzt an Weinberge von Château Canon, die andere an das Areal von Château Angélus. Die Rebstöcke stehen auf kalkhaltigem Lehm mit Sand und auch einem Anteil Eisen. »Ich musste mein Haus in Chelsea verkaufen, um das Stück Land zu bekommen«, fügt Maltus lakonisch an. Ein vermeintlicher Fehlkauf erwies sich als Glücksfall Die Freude über den »big deal« wurde schnell getrübt: Der Brite war überzeugt, einen Weinberg mit Merlot gekauft zu haben – es war Winter, und die Reben trugen keine Blätter, an denen sie leichter zu erkennen gewesen wären. Erst nach sechs Wochen stellte er fest, dass er hauptsächlich Cabernet Franc erstanden hatte; nur ein kleiner Teil des Weinbergs ist mit Merlot-Reben bepflanzt. »Ich dachte erst, ich hätte es völlig vermasselt «, erzählt Maltus, der mit kraftvollen und holzwürzigen Weinen den amerikanischen Markt erobern wollte: »Merlot wäre für diesen Weintyp prädestiniert gewesen, aber ich hatte nun eine ganze Menge Cabernet.« Zur selben Zeit formierten sich in Saint-Émilion die »Garagisten«, die nur winzige Parzellen bewirtschafteten und Wein in so geringen Mengen erzeugten, dass sie dafür nicht mehr Platz als den einer Garage brauchten. Niedrige Erträge, kleine Produktion, viel Kraft und viel neues Holz, so lautete die Formel für die sogenannten Garagenweine, die gerade in den USA Begehrlichkeiten weckten und vom einflussreichsten Kritiker Robert Parker Bestnoten bekamen. An die Spitze der Bewegung setzte sich Jean-Luc Thunevin mit seinem Château Valandraud; Stéphane Derenoncourt und Jonthan Maltus waren mittendrin. Auch Jacques Thienpont wurde zu der Bewegung gezählt, der mit Le Pin den ersten Garagenwein in Bordeaux aufgelegt hatte. »Ich habe ihn bewundert«, gesteht Maltus, »er war den anderen um zehn Jahre voraus.« Saint-Émilion galt plötzlich als einer der aufregendsten Orte der Weinwelt – und Maltus war der Winzer, der den größten Jonathan Maltus ist als Winzer Autodidakt. Ehe er diese Passion entdeckte, war er als Ingenieur im Dienste der Ölindustrie durch die Welt gereist BORDEAUX FINE 4 | 2021 27
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