Fine-Herausgeber Ralf Frenzel, Initiator dieser einzigartigen Verkostung, begrüßte die Gäste – und schon begann das »Eintrinken« mit einem exquisiten Flight von elf Jahrgängen Kiedricher Gräfenberg Riesling Erstes Gewächs: ein Aufmarsch (2009 bis 1999), der überzeugend Klarheit und Helligkeit der Weilschen Qualitätsphilosophie formulierte. Pierre Lurton nannte gleich seinen Favoriten: 2006 – aber »was dazu essen«. Da schien er ratlos, auch wenn er seine Sprachlosigkeit (grundlos) seinem Konversations- Englisch zuschob – »wenn ich französisch spreche, hat alles mehr Poesie!« Lurton beantwortete den eleganten Riesling- Flight mit einer nicht minder großartigen zweiten Runde: Sieben Jahrgänge (2008 bis hinunter zu 1980) von Yquems sagenhaftem »Y« (I grec), die Wilhelm Weil sogleich begeistert feierte: »Ein Kraftkerl, der sich in die Brust wirft – hier bin ich!« Freilich, »Y« vor dem Ablauf von fünfzehn Jahren zu trinken, sei Frevel. Hier hörte man in der Runde schon divergierende Meinungen, von »hinreißende trockene Süße« bis »muss ich nicht haben«. Christian Volbracht aber brachte ohne diplomatische Hintergedanken diese beiden ersten Flights auf die schöne Formel, der Vergleich beider Weine zeige nichts Geringeres als die Unvergleichbarkeit des Wundervollen. Nun aber ertönten die spirituellen Fanfaren für das Hauptstück der Verkostung, jenem schwelgerischen Teil, der mit einundzwanzig Jahrgängen in drei Siebener-Flights und ebensolchen einundzwanzig Jahrgängen Gräfenberg Riesling Trockenbeerenauslese die große Stunde der Botrytis cinerea, die Stunde der Wahrheit für die beiden herrlichsten Süßweine der Welt schlagen ließ. Wie würden Semillon und Riesling einander begegnen, wie sich zueinander verhalten Und wie steht eine Jahresproduktion von immerhin einhundertdreißigtausend Flaschen d’Yquem neben einer mit unendlicher Mühe und Sorgfalt hergestellten Flaschenausbeute nur im dreistelligen Bereich Nur etwa zehn Prozent der Riesling-Produktion entfallen bei Weil auf die großen Aus- und süßen Spätlesen, neunzig Prozent gehören den trockenen Weinen; bei Château d’Yquem ist es genau umgekehrt: neunzig Prozent der Produktion wird Yquem, zehn Prozent gehen in den trockenen »Y«. Nach sieben Jahrgängen Yquem (2007 bis 1995) findet Wilhelm Weil als erster wieder Worte. Einmalig und absolut großartig sei, was er hier trinken dürfe, Yquem sei ein Wein wunder; er empfinde es als große Ehre, seine Weine dazu in Vergleich setzen zu dürfen. Ja, sekundiert Pierre Lurton, Yquem sei ein Wein wie Kaschmir, exotisch und klassisch zugleich, ein orgasmisches Ereignis. Später, nach einundzwanzig und einem (1921) Jahrgang, wird er noch hinzufügen, dass eine solche Vertikale wie eine Zeitreise sei – und mit Yquem zu reisen, sei sicherlich die eleganteste Reise, die man sich vorstellen könne. Freilich, nach dem zweiten Yquem-Flight (1990 bis 1970) halten sich verzücktes Kosten und erste Ermüdung in der Kenner-Runde die Waage. »Mir schmeckt das alles inzwischen gleich«, bekennen einige, und einer wagt gar den gottes lästerlichen Satz, das sei nun »Langeweile auf höchstem Niveau«. Aber da zeigen sich wohl eher erste individuelle Grenzen der geschmacklichen Differenzierungsfähigkeit: Denn wenn Yquem auch ein Wein ist, der Jahrgang für Jahrgang bestimmte sensorische Erwartungen zu erfüllen hat und in der Tat auf das köstlichste erfüllt, so ist der Reichtum der Jahrgangs-Nuancen doch erheblich und beglückend, wie Caro Maurer beim intensiven, nie erlahmenden Nachschmecken der Weine bis hin zum grandiosen Yquem-Finale mit dem 1937-er, einem Wein von historischer Statur, erspürt und in ihren Notaten festhält. »Eine Flasche Yquem trinke ich an einem Abend für mich allein«, leitet Wilhelm Weil zum nächsten, mit um so größerer Spannung erwarteten Trockenbeerenauslese-Komplex über – »aber eine Flasche TBA Dafür brauche ich zehn 64 F I N E 4 / 2010
Große Erwartungen erfüllen sich für eine Kenner-Runde, als Wilhelm Weil und Pierre Lurton ihre großen Süßweine präsentieren. Genießerisch und konzentriert diskutieren und trinken in der Wiesbadener Villa Fortuna Klaus Westrick und der Saar-Winzer Roman Niewodniczanski sowie der Südtiroler Landes rat Thomas Widmann. Freunde am Tisch!« Kiedricher Gräfenberg Riesling Trockenbeerenauslese: Da zeigt sich die versammeltste Konzentration und eine kaum vorstellbare Komplexität. Das ist kein Griff in den Honigtopf, das ist, Jahrgang für Jahrgang, ein fast narkotisches Wandeln durch einen Sesam, eine schier unfassliche Schatzkammer der Aromen. Fast narkotisches Wandeln, das schon – aber, so bekräftigt Roman Niewodniczanski, durch die zwar ganz eigene, aber ganz lichte Welt der Trockenbeerenauslesen. Da verschwimmt, da verdunkelt sich nichts, Struktur und Textur der Weine sind, bei allem samtenen Geheimnis, ganz klar. Vielfalt ist ein schlichter Begriff für ein sensorisches Erlebnis, das sich der sprachlichen Fassung fast entzieht. Wilhelm Weil, der bedächtige, mit Worten zurückhaltende Winzer, sieht das durchaus nüchtern: »Auf solche Vielfalt in der äußersten Beschränkung ist der Önologe eifersüchtig, aber der Ökonom ist dankbar für 130 000!« In meditativer Stille und immer empfänglicher für Hans-Stefan Steinheuers harmonisch stützende Kochkunst erleben die Gäste nun Weine von völlig anderer Stilistik als der Sauternes und haben alle genießerische Mühe, sich dem stillen Anprall der drei Flights von einundzwanzig Kiedricher Trockenbeerenauslesen zu erweisen, deren jede einzelne eine Hymne wert wäre. Als dann zum Schluss eine absolute Rarität, die einzigartige 2003-er Trockenbeerenauslese Goldkapsel mit dem sagenhaften, wohl niemals zuvor vergorenen Mostgewicht von 316 Grad Oechsle gereicht wird, ist der Glanzpunkt der mit Highlights prunkenden Verkostung da: Nur dreißig Liter wurden davon produziert; zwölf Flaschen wurden kürzlich verauktioniert, für 5 117 Euro – pro Flasche. Weltrekord! Pierre Lurton spürte, wie sich langsam aller Augen auf ihn richteten: »Ich weiß«, begann er, »Sie alle sind gespannt, wie Pierre Lurton reagieren wird.« Sein Lob für die Weilschen Weine konnte liebenswürdiger nicht sein. Winzer, sagte er, seien immer Suchende, stets darauf bedacht, die genaue Balance zwischen den Kräften der Natur zu finden. Aber nur den wirklich Hochkarätigen sei es gegeben, in den extremen Bereichen der Süßweine diesen Gleichklang zu erspüren. Für beide, ihn und Wilhelm Weil, sei ja nicht die Süße, sondern die Säure ein zentrales Thema, denn nur sie lasse als Rückgrat des Weins den heftigen Reichtum des Zuckers vergessen – ein equilibristischer Akt, der jedes Jahr neu zu bestehen sei. Er zeigte sich überrascht von der außerordentlichen Aromenkraft der Weine und formulierte seine Empfindungen zum Aromenverlauf des Weins im Glas. Seinen Dank an Wilhelm Weil verband er mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen, »damit wir beide voneinander lernen können«. Ende der Probe, Schluss mit süß. Da machte sich auch Erleichterung frei, und gern folgte man der Einladung des Gastgebers zu einem Après in den Weinkeller der Villa Fortuna. Steinheuer hatte noch ein Spanferkel in petto, als erfrischenden »Reparaturwein« gab es Weilschen Kiedrich Klosterberg trocken 2008 aus der Doppelmagnum und, freudig begrüßt, das »Bier danach«, Spezialitäten aus der ungewöhnlichen Bier-Kollektion von »Braufactum«, wozu Bernd Fritz in seiner Kolumne sich zu Wort meldet. Vieles war nun zu bereden, eine der ungewöhnlichsten Weinproben der letzten Jahre zu bedenken. Der Abend wurde noch lang. > F I N E W E I N l e g e n d e n 65
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