Die Weingüter Wegeler und Dr. Thanisch haben das Wertversprechen der Lage über hundert Jahre bis heute gehalten. S chon bei der Annäherung aus der Ferne berührt einen dieser Ort. Er liegt im Knie eines Flusses, zu Füßen des Berges, der steil, aber nicht sehr hoch ist. Im Norden und Osten schützen Wälder den Berg, und im Süden reflektiert die Mosel das Sonnen licht. Das Besondere aber ist sein schwarzer Boden. Diese Nichtfarbe absorbiert das Licht der Sonne am Vollkommensten. Es ist ein Schiefergestein aus dem Erdzeitalter des Devons, das die Zeit porös und zerbrechlich gemacht hat. Seine Schichten und Lamina speichern die Wärme und lagern soviel Nässe auf ihrer kühlen, lichtabgewandten Seite, dass darin Mikroorganismen gedeihen, die den mineral reichen Boden beleben und Nahrung und Fruchtbarkeit für die tiefer gehenden Rebwurzeln vorbereiten. Sie arbeiten in der luftlosen Tiefe des Berges, dabei entsteht ein Überangebot an Nährstoffen und Mineralien, die ermöglichen, dass hier ein langlebiges Gewächs wie die Rebe gedeihen und überhaupt so etwas wie Weinbautradition entstehen konnte. Das ist die Voraussetzung der Natur für den Weinbau am Doctorberg. Doch was ist das Wesen dieser Tradition Auf alten Anpflanzungstafeln, Kupferstichen und Photographien sieht man, wie dicht hier die Reben gepflanzt wurden. Fast ist man erschrocken und fragt sich, woher die Nährstoffe kommen, die eine so dichte Rebpflanzung erfordert. Und wenn man die herzförmige Erziehung der Reben an Holzpfählen sieht, ist das Erstaunen noch größer. Was andernorts mit 30 F I N E 4 / 2010
Weingut Wegeler langen Fruchtruten im Drahtrahmen erzeugt wird, verwirklicht man mit zwei an den Pfahl gebundenen Kreisruten, aus denen die tragenden Triebe nach oben sprießen. Die Moselpfahlerziehung geht auf die römische Zeit zurück, sie mutet archaisch an, jede Pflanze wird individuell ringsum per Hand gepflegt. Jede ist ein Individuum und war immer teuer im Doctorberg. Einhundert Goldmark zahlte Geheimrat Julius Wegeler im November des Jahres 1900 für einen Rebstock, als er die Chance nutzte, etwa ein Drittel des Doctorberges zu erwerben. Eine Summe, die heute dem etwa achtfachen Eurowert entspricht. Es war kein Spontankauf, sondern eine jahrelang vorbereitete, wohlüberlegte Handlung. Bis heute ist es die größte Summe geblieben, die jemals für einen deutschen Weinberg gezahlt wurde. Noch immer liegen die Geschicke der von Julius Wegeler begründeten Weingüter – und damit auch für den Besitz im Doctorberg – in der Hand der Familie Wegeler. Für Dr. Tom Drieseberg, der heute gemeinsam mit seiner Frau Anja Wegeler-Drieseberg die Verantwortung trägt, ist Julius Wegelers Kauf mehr als nur eine geschickte kaufmännische Entscheidung. Der Geheimrat war auch ein ausgewiesener Kenner und Förderer der Künste und Kultur. Er hat durch die mit der Kaufsumme ausgedrückte Wertschätzung auch den Wert dieses Weinbergs als ein Kulturgut besiegelt. Seitdem hat es keine Kaufmöglichkeit mehr in der insgesamt 3,2 Hektar kleinen Steillage gegeben. In der Tat haben die beiden hauptsächlichen Besitzer des Doctors, die Weingüter Wegeler und Thanisch, Erben Müller-Burggraef, in den vergangenen hundert Jahren das Wertversprechen dieser Lage gehalten. Sie haben – wie auch das dritte Doctor-Weingut von Belang, das Gut Wwe. Dr. H. Thanisch, Erben Thanisch – die Tradition edelster Rieslinggewächse, die hier von den Trierer Kurfürsten im 17. Jahrhundert begründet wurde, bewahrt und weitergeführt. Diese Kontinuität in der Zeit ist der eigentliche Schatz des Doctors. Sie hat etwas mit Ethos, mit Haltung, zu tun. Es ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, nicht nur einen schönen Wein zu keltern, sondern hohe Qualität über mehrere Generationen hinweg zu gewährleisten. Dass es den Wein gütern Wegeler und Thanisch, Erben Müller-Burg graef gelungen ist, seit Ende des 19. Jahrhunderts den Wert des Doctors mit jedem Jahrgang immer wieder zu verteidigen und neu entstehen zu lassen, ist ein Glücksfall für den deutschen Weinbau, der im 20. Jahrhundert großen Verwerfungen ausgesetzt war und um Haaresbreite seine Tradition selbst zerstört hätte. Die Gefahr zog ganz legal in Form des Weingesetzes von 1971 herauf. Über Nacht war der Doctor um mehr als zwei Hektar größer geworden. Man hatte auf dem Reißbrett einen neuen Doctor geschaffen und ihm die verschatteten Ost- und Südostlagen, die im Taleinschnitt zwischen dem Doctorberg und der Burg situiert sind, zugeschlagen. Das Gewöhnliche sollte das Außergewöhnliche verwässern. Doch beide Familien haben sich gewehrt. Rolf Wegeler für die Weingüter Geheimrat J. Wegeler und Walter Müller für das Weingut Thanisch, Erben müller-Burggraef. Sie haben fünfzehn Jahre lang für die Rücknahme der Lagenerweiterung einen zähen Gerichtsprozess gegen die Bundes republik Deutschland geführt und am Ende gewonnen. Seitdem hat der Doctor berg wieder sein traditionelles Maß. Wenn man Weinbau als Agrikultur begreift und betreibt, dann geht es um die Auseinandersetzung des Menschen mit einem Stück kultivierter Natur. Ist die Natur zu stark, verwandelt sich der Weinberg in Wildnis zurück. Dominiert der Mensch, kann ein Produkt der Önoindustrie entstehen. Menschen sind fehlbar, und Wetter und Klima sind als Teil der Natur unberechenbar. Dennoch gibt es im Doctorberg eine Kontinuität. Es lohnt sich, in dieser extremen Steillage mit Handarbeit und niedrigen Erträgen besondere Weine herzustellen, weil mit dem Doctorwein seit vier Jahrhunderten ein Qualitätsversprechen verbunden ist, das als bleibender Wert geschätzt und honoriert wird. Von welcher Lage kann man so etwas schon behaupten Es kommen in dieser Liga weltweit gewiss nur wenige zusammen. Dies hat die Fine-Degustation von fünfzig Jahrgängen aus dem Bernkasteler Doctor gezeigt. Das Spektrum dieser Verkostung umfasste Jahrgänge zwischen 2009 und 1921. Die Probe stand unter keinem sportiven Geist, es ging nicht darum, welches Weingut die besseren Weine habe. F I N E M o s e l 31
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook