Aufrufe
vor 10 Jahren

FINE Das Weinmagazin - 03/2011

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: CHATEAU HAUT-BRION

42 F I N E 3 /

42 F I N E 3 / 2011 © StockFood.com / Cephas, Mick Rock

Annäherung an einen Mythos Henri Jayer: So einfach, so gut Text: Stephan Reinhardt Auch fünf Jahre nach seinem Tod lebt die Legende Henri Jayer aus Vosne-Romanée weiter fort, nicht nur an der Côte d’Or in Burgund, sondern auch in den Herzen und den Weinen vieler anderer Pinot-Noir-Erzeuger. Fine Das Weinmagazin lud zu einer Probe von zweiundzwanzig Rotweinen des großen Weinmachers aus den Jahren 1976 bis 1996. Persönlich habe ich Henri Jayer, eine der bedeutendsten Winzerpersönlichkeiten Burgunds in der zweiten Hälfte des 20. Jahr hunderts, nicht gekannt. Er ging 1988 in Rente, als ich mich für Wein zu interessieren begann, und er starb 2006, als ich auf einer Recherche für Stuart Pigotts Buch »Wein spricht deutsch« durchs Burgenland und nicht durch Burgund reiste. Ich bin kein Experte für Burgunder, aber die Weine der Côte d’Or faszinieren mich wie kaum ein anderer Wein sonst. Auch Jayer ist daran schuld. Obgleich ich doch bis zur großen Fine-Probe nur drei Weine von ihm – zwei Echézeaux und einen Cros Parantoux – getrunken hatte. Aber ich habe über Jayer gelesen, Freunde, Kollegen und Winzer von ihm und seinen Weinen schwärmen hören, wenn es um wegweisende Burgunder ging. Sein Stern leuchtet also noch immer. Richtig auseinandergesetzt allerdings hatte ich mich mit Henri Jayer bislang nie, auch nicht mit seinen Weinen, an die zu kommen nicht nur sehr schwierig, sondern auch empfindlich teuer ist. Einige hundert Euro muss man in jedem Fall berappen, für die großen Crus sogar weit über tausend. Die Einladung, für Fine eine große Jayer- Probe kommentieren zu dürfen, konnte ich nicht ausschlagen. Denn ob sich mir eine solche Gelegenheit im Leben noch einmal böte, ist zumindest ungewiss. Jayers Weine sind längst Geschichte. Wer ihrer aber habhaft wird, sollte darum in die Historie eintauchen, denn ohne Analytik denkt es sich dümmer – oder anders: man verschenkt Dimensionen des Genusses, wenn man sich Jayers Weinen nur als Hedonist nähert. ICE Hannover-Karlsruhe, 20. Juni. Ich will ausgeruht und vorbereitet in die für vier Uhr nachmittags angesetzte Probe in Sackmanns Schlossberg-Restaurant in Baiersbronn-Schwarzen berg gehen, und so nehme ich morgens um halb zehn im Zug Platz. In meine iPad-Bibliothek habe ich geladen, was ich an Literatur zu Jayer finden konnte: Remington Norman, Clive Coates, Jacky Rigaux. Ich lese, dass der vor fünf Jahren vierundachtzigjährig verstorbene Winzer als Legende der Côte d’Or bezeichnet wird, als Guru und Pate einer neuen, jungen Winzergeneration, und dass er jener Mann war, ohne den sich das heutige Burgund nicht denken lässt (Coates, 1997), denn, so jetzt Norman (1996): »Wenn es einen Mann gibt, der auf die Einstellung und das Sachkönnen der jungen Winzergeneration großen Einfluss ausübt, dann Henri Jayer.« Der habe es verstanden, aus Weintrauben mit einfachsten Mitteln wahre »Wunder« zu »zaubern« – vom »vorbildlichen« Bourgogne rouge bis hin zum »prachtvollen« Cros Parantoux und zum »gebieterischen« Echézeaux. Inzwischen, fünfzehn Jahre nach diesen Einschätzungen, sind es mehrere Winzergenerationen, die sich auf Henri Jayer berufen, die sich ihn und seine während fünfundvierzig und mehr Jahren erzeugten Weine zumindest zum Vorbild nehmen. Und diese Winzer füllen ihre Weine auch längst nicht mehr nur an der Côte d’Or ab. Sondern, um nur einige Beispiele zu nennen, auch in Kallstadt (Bernd Philippi, der gerade sechzig Jahre alt geworden ist), in Dernau an der Ahr (Werner Näkel, der übernächstes Jahr sechzig wird), im churfränkischen Bürgstadt (Paul Fürst, der irgendwann sicher auch mal sechzig wird), ja sogar am Douro in Portugal (Dirk Niepoort, der noch lange keine fünfzig ist) und nun auch in Deides heim, wo sich der vierzigjährige Stephan Attmann vom Weingut von Winning ebenso auf Jayer bezieht wie das noch jüngere Duo Enderle & Moll im badischen Münchweier, das mit einfachsten Mitteln, aber alten Reben und viel Fleiß und Mut kraftvolle, fleischige und markante Pinots wie aus einer vergangenen Zeit erzeugt. Henri Jayer kam 1922 als jüngster von drei Brüdern zur Welt. Zwar besaß die Familie etwa drei Hektar Weinberge, unter anderem in Echézeaux und Vosne-Romanée, aber der Vater, Eugène Jayer, war eigentlich kein Vigneron. Henris Bruder Georges war Förster, Lucien, der andere Bruder, kümmerte sich um die Familienwein gärten. 1942 bot Etienne Camuzet, der Gründungsvater der heutigen Domaine Méo- Camuzet, dem zwanzigjährigen Henri an, einen großen Teil seiner Reben auf Métayage-Basis zu pflegen. Ein Zufall. Jayer willigte ein. Nun konnte F I N E B o u r g o g n e 43

FINE Das Weinmagazin

© 2023 Tre Torri Verlag GmbH | Sonnenberger Straße 43 | 65191 Wiesbaden – Impressum