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FINE Das Weinmagazin - 01/2014

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INE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: RHEINHESSEN

Mainz verhüllt sich

Mainz verhüllt sich noch im Nebeldunst, nur zögerlich entwirrt sich das dicht gestrickte Straßengeflecht der Stadt und gibt eine neue Perspektive frei: Offenes Land, endlich kann der Blick schweifen, den Rhein entlang, immer nach Süden. Gleich hinter Nackenheim, dem Geburtsort Carl Zuckmayers, baut sich der Rote Hang auf, die dramatischste Steillage Rheinhessens. Er ist das Kernstück der Rheinfront – so martialisch wird das Weinland zwischen Nackenheim und Worms genannt – und einen Zwischenstop wert. Der Rote Hang ist ein Angeber, der sich mit seinem roten Teint in Pose wirft, auch wenn sich seine Rebstöcke jetzt blattlos und ungeschminkt zeigen. Schaut her, signalisiert jede seiner Krumen, schaut doch her, wie gut ich wieder aussehe. Mit plattfüßigen Rebäckern und zaghaft geschwungenen Hügelchen will er nichts zu tun haben. Der Rote Hang ist ein Coup der Natur: Hier tritt das Rotliegende offen an die Oberfläche, eisenhaltige Ton- und Sandschichten, auf denen außergewöhnliche Rieslinge wachsen können. Hochbegabt: Der prüfende Blick ins Glas gehört auch für den Bechtheimer Winzer Jochen Dreissigacker zum Handwerk. Nicht nur seine Rieslinge aus den Lagen Geyersberg und Rosengarten genießen weltweit den allerbesten Ruf. Wie seine Freunde und Kollegen baut er neben Weißwein auch Spätburgunder an. November-Regen hat schaufeldick Matsch aufgeschichtet im Nackenheimer Rothenberg, der steilsten Parzelle im Roten Hang. Auch wenn man sich nicht viel aus Autos macht, auf dieser schlammigen Steilpiste ist es gut, einen unerschrockenen Geländewagen zu fahren wie den Land Rover Discovery, dem man einiges zumuten kann. Mühelos klettert er den seifigen Anstieg hoch, mehr Nonchalance dabei geht kaum: Er wirkt selbst dann erhaben, wenn der Dreck in Fontänen an ihm hoch spritzt. Unten, am Fuß des Roten Hangs, fließt gelassen Vater Rhein vorbei. Er ist der Herr im Tal, man wird das Gefühl nicht los, dass er wohlwollend die Weinberge und die Menschen an seinem Ufer beobachtet mit seinem Silberblick. Und gelegentlich zwinkert. Es geht weiter stromaufwärts, Richtung Worms. Der Weg führt durch Nierstein und Oppenheim, die sich über die Jahre näher gekommen sind und bald zusammenwachsen. An der Straße liegen Weingüter mit gewaltigen Innenhöfen, meist durch mächtige Tore verriegelt. Zwischen den Dörfern in den Rheinauen stehen Pappeln mit Mistelkronen. Die Landschaft verliert an Schwung und wird flacher, auf den Äckern liegen Berge von Zuckerrüben, mit weißen Planen abgedeckt. An die Dramatik des Roten Hangs kann auch die Armee der Windräder nicht heranreichen, die wie Narben im Gesicht dieser Landschaft wirken. Endlich ist der Wormser Dom zu erkennen, der erhaben seine Türme in die Höhe reckt. Worms war lange Zeit für seine Rieslinge berühmt. In den 1860er Jahren strömten Angelsachsen in die Stadt, auf der Suche nach Rheinromantik und Rhine Wine. Mit den Rieslingen aus dem Liebfrauenstift Kirchenstück, die im Schatten der Liebfrauenkirche wuchsen, ließ Queen Victoria sogar den königlichen Hofkeller bestücken. Die Liebfrauenmilch war begehrt unter internationalen Weinkennern und wertvoller als die großen Gewächse aus Bordeaux. Sie hat den Ruhm des Rheinhessenweins begründet, aber auch zerstört, als unter dem Namen Liebfraumilch seelenlose Massenprodukte mit Kopfschmerz-Garantie verramscht wurden. Ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Willkommen im Wonnegau: In Bechtheim sitzt Jochen Dreissigacker am Schreibtisch und strahlt. Der Winzer hat sich erholt von einem schikanösen Herbst. Der Süden Rheinhessens zählt zu den wärmsten und trockensten Landstrichen Deutschlands. Aber in diesem Herbst ist sehr viel Wasser vom Himmel gestürzt. Die Winzer hatten Angst, der Dauerregen könne die Ernte ruinieren. An manchen Tagen wurde deshalb rund um die Uhr gearbeitet, manchmal habe er gar nicht geschlafen, erzählt Jochen Dreissigacker, manchmal sei er für eine Viertelstunde im Sessel eingenickt. Den Zeitplan für die Ernte habe das Wetter geschrieben, »wir sind nur noch hinterher gehechelt. Der Druck ging nie weg«, erzählt der Zweiunddreißigjährige und kann inzwischen darüber lachen. Druck, damit kennt Dreissigacker sich aus. Als er 2003 die ersten Weine nach seinen Vorstellungen vinifizieren wollte, lag im elterlichen Weingut Streit in der Luft. Sein zwei Jahre älterer Bruder Christian arbeitete konventionell, wie schon die Eltern. Aus den vierzehn Hektar Reben wurden möglichst hohe Erträge gewonnen und zu sechzig verschiedenen Weinen verarbeitet, keine Geschmacksrichtung wurde ausgelassen. »Wir wollten es jedem recht machen und haben so unser 66 67 F I N E 1 / 2014 F I N E R h e i n h e s s e n

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