Wenn er gelingt, ist er grossartig Silvaner aus Rheinhessen Von Till Ehrlich Foto Guido Bittner Zwei Drittel der verkosteten Silvaner erreichten 90 Punkte und mehr. Spitzenreiter mit 94 Punkten ist der 2002er Siefersheimer Silvaner vom Weingut Wagner-Stempel – dicht gefolgt von Mitstreitern wie Wittmann, Winter, Gutzler und Dreissigacker. Rheinhessen und Silvaner, das gleicht einer langen Ehe: Liebe und Hass, Höhen und Tiefen, Leidenschaft und Gewohnheit, Missverständnis und Versöhnung. Das feste Band hält selbst dann, wenn der Wein in der Gunst des Publikums sinkt. Rheinhessens Winzer halten zum Silvaner. Auch wenn es im größten Silvaner-Anbaugebiet Deutschlands lange an zündenden Ideen mangelte, wie das Potential dieser unterschätzten Rebsorte im Wein zur Geltung gebracht und damit Wertschätzung im Markt erzielt werden konnte. Mittlerweile hat sich viel zum Positiven hin entwickelt. Heute liefert der Silvaner in Rheinhessen ein lebendiges Beispiel für die Kreativität, das Talent und das immense Potential der Winzer in dieser Region. Zum einen gibt es seit einigen Jahren faszinierende Silvaner, die in Barriques ausgebaut werden und auf Fülle, Intensität und Länge setzen. Das Holz gibt dem Wein Spiel, Grip und Langlebig keit. Dieser Stil, wie ihn etwa ein Winzer wie Jochen Dreissigacker pflegt, hat auch viele andere junge Winzer und Winzerinnen inspiriert und angespornt. Daneben gibt es Winzer wie Daniel Wagner, Stefan Winter oder Johannes Geil, die eine andere Philosophie verfolgen. Bei ihnen steht die Finesse im Vordergrund – unabhängig davon, ob der Silvaner in Stahltanks oder in großen Holz fässern ausgebaut wird. Dieser als klassisch bezeichnete Stil ist subtiler, weniger laut. Er arbeitet die Mineralität, die Saftigkeit und die herbe Fruchtigkeit der Sorte heraus. Finesse, Spannung und Haltbarkeit entstehen durch das Spiel mit der Säure. Dieser Stil ist, wenn er gelingt, großartig, aber aufgrund der Eigenschaften des Silvaners nur in Jahrgängen zu erreichen, die ihm günstig sind. Gerade weil der Silvaner in Rheinhessen nicht in der ersten Reihe steht, haben die Winzer größere Freiheiten: So gibt es mehr stilistische Vielfalt als beim Riesling. Anders als in Franken ist der Silvaner bei den rheinhessischen VDP- Weingütern nicht als Großes Gewächs klassifiziert. Das ist Riesling und Spätburgunder vorbehalten. Dennoch: Das große Fine Tasting hat gezeigt, dass es in Rheinhessen grandiose Silvaner gibt. Und das seit mehr als einer Dekade. Diese Silvaner können reifen. Experimentieren und Ausprobieren sind schon immer ein wesentlicher Kern des Weinbaus gewesen – sie bedeuten Weiterentwicklung statt Stillstand. Doch viele Winzer tun dies im Stillen, lassen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit Rebsorten, Gärung und Fassausbau erst dann in die Weinerzeugung einfließen, wenn sie ausgereift sind. Weine, die beim Ausbau – ganz bewusst – weitgehend ihrem natürlichen Schicksal überlassen wurden, entwickeln atypischen Geruch und Geschmack. Dieses Konzept setzt darauf, Spannungen und disproportionale Zuspitzungen im Wein zuzulassen. Es geht um das Spiel mit aromatischen Ambivalenzen, das Ausloten neuer Geschmacksnoten. Diese Weißweine, die oft auch als Naturweine oder Orange Wines bezeichnet werden, sind Weine mit jung gemachter Firne. Sie werden gern spontan auf der Maische vergoren und mit der Maische monatelang ausgebaut, auf Filtrieren, Schönen und Schwefeln wird häufig verzichtet. Oft haben sie eine vollkommen andere farb liche und geschmackliche Präsenz und Struktur als gewohnt. Es gibt jedoch Sommeliers, die diese Extreme im Wein suchen und entschieden zu speziellen Gerichten empfehlen, wie etwa von Juan Amador perfektionierte geräucherte Speisen, die unter einer gläsernen Rauch-Cloche serviert werden. Gag oder Teil eines Marketings, das auf Moden, Auffälligkeiten und Tabubrüche setzt Immerhin haben diese Weine eine gewisse Relevanz, weshalb sie in der großen Fine-Silvanerprobe vertreten waren – beispielsweise durch das Weingut Schätzel in Nierstein, das sich in jüngster Zeit einen Namen mit solchen Weinen gemacht hat. In diesem Kontext entziehen sie sich allerdings einer Bewertung. Kein Wein kann isoliert von anderen Weinen beurteilt werden. Ebenso wie sie in einem weinbaulichen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext stehen, beruht ihre Wahrnehmung auch immer auf dem Verhältnis zu anderen Weinen. Um solche Experimentalweine zu den Spitzenweinen zählen zu können, müssten die Tücken der unterschiedlichen Weinbaumodi noch besser erforscht werden. Zwischen dem Besonderen und dem Sonderbaren gibt es eine wesentliche ästhetische Differenz. 54 55 F I N E 1 / 2014 F I N E T a s t i n g
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook